Egal wie sehr man sich Mühe gibt, es gibt sie doch, die “schlechteren” Tage beim und mit dem Pferd – denn niemand ist perfekt. Pferde spiegeln unsere Emotionen und unser Befinden und reagieren auf sie ganz pur. Je nach Charakter auf die eine oder andere Weise. Es lohnt sich also vor dem Zusammensein mit dem Pferd eine innere Checkliste durchzugehen und das Training oder das Tagesprogramm generell darauf abzustimmen. Für mich gehören drei Hauptpunkte ganz klar dazu:
Ich selber – wie fühle ich mich heute?
Es lohnt sich zu lernen wirklich tief und ehrlich in sich reinzuspüren bevor wir unser Pferd holen, oder auch schon davor – zum Beispiel auf dem Weg zum Stall. Wie war mein Tag heute? Nehme ich gerade Alltagsstress mit zu meinem Pferd? Bin ich die ganze Zeit am Abarbeiten und sehe das Pferd als einen der Punkte durch die ich durchhetzen muss? Bin ich vielleicht eigentlich total erschöpft vom Tag?
Es lohnt sich, absolut ehrlich mit sich selbst zu sein. Ich denke es ist schon jedem passiert: Man hatte sich wirklich vorgenommen heute Trab-Galopp-Übergänge zu üben, weil es die Woche davor so toll geklappt hat und es so eine Freude gebracht hat. Aber eigentlich ist man heute viel zu müde, viel zu gestresst, und eigentlich hat man sein Meeting von morgen schon so sehr im Kopf, dass man sich gar nicht auf sein Pferd und den jetzigen Moment konzentrieren kann. Vielleicht ist auch die Zeit besonders knapp, weil die Kinderbetreuung gleich endet. Wenn wir all diese Dinge ignorieren, kann es nur schief gehen. Entweder es klappt nichts, oder wir werden unfair dem Pferd gegenüber, es gibt leider viele Möglichkeiten. Auf jeden Fall machen sie alle unglücklich – uns und das Pferd.
Meine Pferde haben mich gelehrt in einer solchen Situation lieber 5 Gänge zurück zu fahren und nicht nur einen und mir ganz bewusst zu machen wie ich mich fühle. Dieses Vorgehen hat mir auch dabei geholfen Stresssituationen besser loszulassen und offen zu sein was kommen kann. Manchmal wird man dann überrascht und es geht doch so viel mehr als man ursprünglich dachte. Der Schlüssel hier ist für mich ganz klar die eigenen Ansprüche zurückzuschrauben. Was wären in diesem Beispiel 5 Gänge zurück zu schalten? Das ist sehr individuell, denke ich. Es kann Geradeaus am langen Zügel sein (schwer genug…), ein Ausritt, Pferdchen nur putzen oder nur füttern sein.
Ich kann aus meiner Erfahrung eine mit großer Sicherheit sagen: es lohnt sich zurück zu fahren. Es ist zum Glück schon viele, viele Jahre her, aber dennoch erinnere ich mich an Situationen, in denen mein Pferd mich im Stress gespiegelt hat und ich unfair reagiert habe. Mir sind keine “großen” oder dramatischen Sachen passiert, aber so möchte ich einfach nicht zu und mit meinem Pferd sein.
Mein Pferd – wie ist seine Tagesform heute?
Bei jedem Pferd sollten wir die Tagesform scannen – das erfordert Einfühlungsvermögen und auch Erfahrung. Als BesitzerIn kennt man sein Pferd sehr wahrscheinlich am Besten – man kann sich also getrost auf das Bauchgefühl verlassen. Außerdem ist es gut zu wissen, wie gerade der Pferdealltag und das Privatleben des Pferdes aussieht. Wurde gerade ein neues Herdenmitglied integriert? Gibt es gerade Änderungen in der Herdenstruktur an sich? Weiden die Pferde gerade auf einem neuen Stück und sind vollgefuttert ohne Ende? Hole ich mein Pferd gerade zu einer anderen Zeit als gewohnt von der Wiese oder war gerade Fütterungszeit und der Heuberg wartet in der Box? All das spielt natürlich eine Rolle und wirkt sich auf unser Zusammensein mit dem Pferd aus.
All das oben beschriebene kann man schon überlegen, bevor man das Pferd in der Hand hat. Für einige Sachen braucht man natürlich sein Pferd bei sich. Blähbauch, Kratzer oder Stressfalten – all das sieht man erst aus der Nähe.
Ich begutachte auch immer wie das Pferd läuft, seien es meine eigenen oder Pferde von Schülerinnen und Schülern. Man kann eigentlich immer Unterschiede sehen im Gangbild. Nicht immer ist es gleich dramatisch, aber wenn ich sehe, dass heute das linke Hinterbein ein bisschen mehr schiebt als das andere, dann wird das Training anders aufgebaut, als wenn das Pferd unauffällig läuft. Läuft es sich mit der Zeit und mit der passenden Gymnastik ein, kann man wieder innerhalb der Einheit neu anpassen. Passiert das nicht, kann man Abstufungen machen und noch mehr Richtung Bewegungstherapie arbeiten.
Rehapferde oder kranke Pferde sind natürlich noch einmal eine besondere Ausnahme. Hier gilt es ganz besonders gut aufzupassen und nie zu überfordern. Bei ihnen sollte man das Reinspüren auch nochmal deutlicher auf direkt nach dem Programm und den nächsten Tag ausweiten. Haben sie das Training gut vertragen oder war es zuviel? Prinzipiell gilt der letzte Punkt aber natürlich für alle Pferde.
Das Außen – wie sind meine Trainigsbedingungen heute?
Zuletzt sollte man noch einmal über die Trainingsverhältnisse nachdenken. Wie sind die Bodenverhältnisse, wie ist das Wetter und kommen mein Pferd und ich damit zurecht? Für ein schwereres Pferd kann ein matschiger oder sehr trockener Platz mehr Probleme machen als für ein leichteres Pferd. Ein empfindlicheres Pferd kann schon bei Nieselregen kapitulieren, ein anderes ist bei Fliegen sehr schnell genervt.
Aber auch MitreiterInnen in der Halle oder dem Platz können eine Entscheidung beeinflussen. Es gibt Menschen, die passen einfach nicht zueinander im Training. Wenn man Wert auf ruhige, harmonische Arbeit mit dem Pferd auf Augenhöhe legt, kann es gut sein, dass man sich beim Zähneknirschen von anderen Reitpferden oder vor Schweiß triefenden Pferden, die schon 60 min “gearbeitet” werden, nicht konzentrieren kann. Dies ist ein extremes Beispiel und so schlimm muss es nicht sein, aber dennoch kennt sicherlich jede das Gefühl, dass man mit bestimmten Personen lieber zusammen trainiert als mit anderen. Ähnliches gilt auch für Zuschauende. Da braucht man auch nicht jeden an der Bande und andere geben einem Zuversicht oder sind einem egal.
Reihenfolge
Ich gehe meiner innere Checkliste auch genau in dieser Reihenfolge durch und fange bei mir an. Wenn ich schon merke, dass ich eigentlich zu müde bin, ist der Rest eigentlich egal. Ausnahme wäre jetzt ein Rehapatient der laufen MUSS. Aber auch hier kann ich mich für die kleine und risikoarme Runde im Schritt entscheiden, statt die große Runde zu machen – immer noch besser als wenn etwas dramatischeres passiert.
Und jetzt?
All das bedeutet für mich nicht, dass wir uns von tausend Sachen abhalten lassen sollten, unser Training zu absolvieren. Es ist eher ein Anstoß sich genau zu überlegen was man machen kann, damit es ein voller Erfolg wird und Pferd und Mensch zufrieden und glücklich sind. Lieber ein schöner Spaziergang als eine stressige Platzarbeit. Lieber eine ordentliche Schrittarbeit in der Halle, als den Ausritt durchzuziehen, obwohl die Bremsenplage in vollem Gange ist. Alles hat seine Zeit!
Und selbst wenn es Phasen im Leben gibt, in denen nicht so viel geht, finden wir garantiert Sachen, die uns Freude bringen. Schaut mal in meinen Blogartikel zu Trainingspausen falls es gerade eine Durstrecke bei Euch gibt.
Das wichtigste ist und bleibt “Zeit schön zu verbringen” wie Bent Branderup immer sagt.