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Übertreten oder Untertreten – passt Dein Training zum Exterieur Deines Pferdes?

Der hat eine aktive Hinterhand, der tritt ja zwei Hufbreit über!” Und auch: “Die tritt nicht über die Spur der Vorderhufe, die Hinterhand ist nicht aktiv genug, reite mal mehr vorwärts“.

Diese Annahmen und Aussagen sind ein Versuch, sehr simpel zu erkennen, ob ein Pferd “gut” geht. Ein weites Übertreten der Hinterhufe über die Spur der Vorderhufe wird hier mit einer aktiven Hinterhand und einem “über den Rücken gehen” gleichgesetzt .

Leider ist diese Sichtweise viel zu vereinfacht. Pferde sind Individuen und noch dazu gibt es sehr viele Pferderassen mit sich stark unterscheidenden Zuchtzielen. Annähernd jedes Pferd kann im Rahmen seiner Möglichkeiten so ausgebildet werden, dass die Gymnastizierung zu seiner Gesundheit beiträgt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sein individueller Körper (und natürlich auch sein Geist) den Ausbildungsweg mitbestimmt. Leider wird meines Erachtens nach sehr oft keine individuelle Lösung gefunden, sondern ein standardisierter vermeintlicher Lösungsweg verwendet, der dem Individuum und seinen körperlichen Anforderungen nicht gerecht wird.

Kommen dann noch gesundheitliche Baustellen wie z.B. Arthrose, Muskelerkrankungen, oder einfach das fortgeschrittene Alter dazu, ist es meiner Erfahrung nach ein großer Fehler in einem bestimmten, engen Schema in einer vorgegebenen Reihenfolge vorzugehen. Nicht jedem Pferd tut anfangs der Zirkel gut und nicht jedes Pferd “muss erstmal richtig vorwärts”.

Das Individuum mit dem ihm eigenen Exterieur, Interieur und körperlicher Fitness bzw. dem Gesundheitszustand geben den ganz eigenen Weg der Ausbildung vor.

Im sogenannten “Freizeitbereich” gibt es besonders viele Pferdetypen mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Talenten und Herausforderungen. Hier gilt es den sinnvollsten, effizientesten und motivierendsten Weg für jedes Individuum zu erkennen und zu beschreiten.

Es gibt jedoch einige grundsätzliche Kriterien an denen festgemacht werden kann, ob ein Pferd sich gesund und den Körper stärkend bewegt oder ob es seinen Körper durch das Training verschleißen wird. Das heißt also den eigenen Blick schulen – besonders für das eigene Pferd – und ExpertIn für den ihm eigenen gesunden Bewegungsablauf werden.

Grundsätzliches

Wieviel das Hinterbein über die Spur des Vorderbeins tritt, hat nur bedingt mit der Aktivität der Hinterhand zu tun. Es hat in erster Linie mit dem individuellen Exterieur, dem Gangbild und der Beweglichkeit des einzelnen Pferdes zu tun, manchmal auch einfach nur mit Geschwindigkeit in der die Gangart ausgeführt wird.

Ich sehe in dieser falschen Annahme – dass ein weites Übertreten eine aktive Hinterhand bedeutet – auch den Hauptgrund dafür, dass so viele Pferde weit über ihrem Tempo gearbeitet werden. Der Ansatz sie unbedingt mit der Hinterhand über die Spur der Vorhand treten zu lassen ist so vorherrschend, dass das Pferd als Ganzes außen vor gelassen wird.

Besonders bei den Rassen, die eher lang und kurzbeinig sind, ist das genau das Gegenteil von dem was wir wollen und schult in keiner Weise die Tragkraft. Besonders unglücklich dabei ist, dass viele Rassen, die in der Freizeitreiterei beliebt sind ein Exterieur aufweisen, das in diese Richtung geht. Norweger, Kaltblüter, Tinker, viele Haflinger, Quarter, viele Kleinpferderassen und Ponies sind eher stabiler und kurzbeinig und zum Teil auch mit langem Rücken ausgestattet. Für sie ist es schlicht und ergreifend oft einfach unmöglich beispielsweise im Trab über oder sogar in die Spur der Vorderhufe zu treten. So wird immer mehr Tempo gemacht, in der Hoffnung sie irgendwann dahin zu bringen über die Spur der Vorderhufe zu treten.

Bei diesem Pferd ist währende der Trabverstärkung die Schubkraft vorherrschend. Der abfußende Hinterhuf ist jedoch trotz aller Dynamik nicht weit genug unter dem Schwerpunkt, um eine gesunde Kraftübertragung zu gewährleisten und die Vorhand wird übermäßig belastet.

Die Pferde, die stetig über ihrem Tempo gehen müssen, werden so komplett auf die Vorhand geritten, entwickeln ihre Schubkraft im Verhältnis zur Tragkraft überproportional und bringen ihre Hinterbeine stetig in eine zu starke Extension. Auch beim Abfußen drehende Hufe werden hierdurch begünstigt. Ein solches verschleißendes Training kann man nicht nur an fehlender Muskulatur und falscher Muskulatur sehen, sondern auch bei einem osteopathischen Check fühlen. Es entstehen typische Blockaden, die wiederum andere Probleme machen – ein Teufelskreis aus dem man ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr “nur” mit Gymnastik herauskommt.

Aus einem solchen Training resultieren dann zum Beispiel Probleme wie Trageschwäche, massive Problematiken an den Beinen, der Wirbelsäule oder auch des Iliosakralgelenks – der ganze Körper ist negativ betroffen.

Rechteck oder Quadrat?

Bei einem Pferd, dessen Exterieur in Richtung eines Quadrats ausgeprägt ist, ist das Übertreten in den meisten Fällen eine ganz natürliche Sache, denn es liegt einfach in seiner Geometrie. Lange Beine im Verhältnis zum Rücken bedeuten, dass die Beine näher beieinander stehen und daher die Hinterhand ohne viel Aufwand in oder über die Spur der Vorderhufe tritt. Mit einer besonders aktiven Hinterhand, oder einem “über den Rücken gehen” hat das erstmal rein gar nichts zu tun.

Quadrat- und Rechteckpferd und ihr Verhältnis von Rücken zu Beinlänge.

Haben wir es mit einem Pferd zu tun, dessen Form eher einem langgezogenen Rechteck entspricht, haben wir eine ganz andere Geometrie. Wenn diese langrückigen Pferde eher kurze Beine haben, ist es fast unmöglich für sie (bei normalem Tempo) über die Spur der Vorderhufe zu fußen. Auch das hat nichts mit einer wenig aktiven Hinterhand zu tun, oder dass das Pferd nicht über den Rücken gehen könnte.

Da der Schritt bei den meisten Pferden mit der größten Amplitude der Wirbelsäule einhergeht, kann man hier besonders auch bei langrückigen Pferden so manche Überraschung erleben, wie weit das Hinterbein nach vorne kommen kann. Dies kann es aber nur durch ausladende Bewegungen der Wirbelsäule. Man ist nicht selten überrascht über die individuelle und zum Teil sehr unterschiedliche Gangmechanik und Beweglichkeit bei ähnlichem Exterieur.

Ein Noriker ist typischerweise ein eher langes Pferd mit verhältnismäßig kürzeren Beinen.

Im Trab sieht das schon ganz anders aus. Es gibt viel weniger ausladende dreidimensionale Bewegungen der Wirbelsäule. Also fußt ein Pferd mit kürzeren Beinen und längerem Rücken wieder weniger nah an die Spuren der Vorderhufe.
Über ein höheres Tempo wird das Hinterbein dann vermeintlich wieder weiter nach vorne gebracht. Auf eine gesunde Art und Weise wird dies aber nicht funktionieren, denn ein langrückiges Pferd kann seine Beine nicht verlängern, sondern nur sein Vorderbein länger stehen lassen. Das sieht dann erstmal so aus, als ob es mehr übertritt. Dies ist sehr belastend für die Vorhand und eine Ursache für die viele Probleme in diesem Bereich.

Untertreten

Was ist aber dann das Ziel? Das was wir erreichen wollen kann viel besser mit dem Wort “Untertreten” bezeichnet werden. Das Pferd soll unter bzw. in Richtung des gemeinsamen Schwerpunkt treten (gilt auch für die gymnastizierende Bodenarbeit – wir nehmen dann den gedachten Punkt an dem die Reiterin sitzen würde) und mehr Tragkraft als Schubkraft entwickeln. Dann kann es anfangen den Rumpf zu tragen und in der Vorhand leicht zu werden.

Auch hier gibt es Pferde die einen so langen und kurzbeinigen Körper haben, dass es nicht immer möglich ist unter den Schwerpunk zu fußen. Auch diese Pferde kann man gesunderhaltend gymnastizieren, aber man muss es mit viel Geduld und Verstand tun. Tragkraft anstatt Schubkraft schulen ist ein Schlüssel.

Auch andere Faktoren wie PSSM 1 oder MIM (früher “PSSM 2”), Hypermobilität, ECVM oder einfach die angezüchtete Bewegung der Rasse, beeinflussen deutlich das Gangbild und erfordern ein individuell abgestimmtes Training.

Entwicklung der Tragkraft

Die Entwicklung der Tragkraft – das ist es was wir brauchen, um ein Pferd gesund zu erhalten. Ganz besonders wenn wir reiten wollen. Ich merke in meinem Alltag, dass viele Menschen nichts mit dem Begriff anzufangen wissen – jedenfalls nicht so richtig.

Ziel ist es, dass das Pferd die Kraft der starken muskulösen Hinterhand über den Körper nach vorne übertragen kann, um mittig und vorne leicht zu werden. Vorne liegt naturgemäß mehr Gewicht beim Vierbeiner. Kommt dann noch das Reitergewicht dazu, welches den Bewegungsablauf manipuliert, kann das zu großen körperlichen Problemen führen. Meist kommen diese erst mit der Zeit.
Muskeln, Faszien, Sehnen und Bänder übernehmen die Aufgabe der Kraftübertragung und können so den Rest des Körpers vor Überbelastung schützen. Ein sehr eingängiges Beispiel für fehlende Tragkraft sind die erworbenen Kissing Spines. Wenn das Pferd fast ausschließlich mit dem Skelett tragen muss, weil die anderen Strukturen nicht mithelfen (können), dann kann sich der Rücken mit der Zeit so sehr absenken, dass die Wirbel in Kontakt kommen. Auch die vermehrte Belastung der Vorhand ist sehr problematisch und führt zu typischen Befunden.

Wie kann man die Tragkraft schulen? Im Prinzip ist dies eine Lebensaufgabe, aber man kann schon im Kleinen sehr viel erreichen. Ein Pferd das einen korrekten Zirkel gehen kann, mit Kopf auf Burggelenkshöhe deutlich vor der Senkrechten, einem inneren Hinterbein das in Richtung Schwerpunkt fußt, einer korrekten Brustkorbrotation und einer leichten Schulter ist der perfekte Anfang. Und nicht so trivial wie es klingt! Schaffen wir es ein Pferd so zu trainieren, wird es davon profitieren und dabei fitter, beweglicher und gesünder werden.

Es ist also wichtig den eigenen Blick so zu schulen, dass man den Unterschied zwischen Über- und Untertreten kennt und ERkennt.

Ich unterstütze Euch mit meiner jahrelangen Erfahrung in funktioneller Morphologie als Trainerin und Pferdeosteopathin dabei den richtigen und vor allem gesunden Trainingsansatz für Euch und Euer Pferd zu finden. Ich helfe Euch Euren Blick zu schulen und ExpertIn für Euer Pferd und seine Bewegungsabläufe zu werden – denn die Gesundheit unserer Pferde steht an erster Stelle!

Mein Angebot findet ihr hier. Ich freue mich auf Eure Mail!

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